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"Niemand wird ausgegrenzt, niemand wird abgehängt, niemand wird allein gelassen!" Persönliche Worte von Mara Bertling
Liebe Leser*innen,
die Erstellung eines Jahresberichts lässt noch einmal viele Fakten, Bilder und Details des vergangenen Jahres lebendig werden. Ein wenig erinnert es mich auch an die Erstellung eines Fotoalbums. Ein schönes Ritual, um vergangene Tage wiederzubeleben, in zeitliche Zusammenhänge zu setzen und schöne Momente hervorzuheben. Auch die ein oder andere Herausforderung wird plötzlich wieder sehr präsent.
Während ich also hier sitze und Ihnen diese Zeilen schreibe, noch überlege, was ich einleitend erzählen möchte, befinden wir uns bereits im Jahr 2022. Ich muss das an dieser Stelle erwähnen, da mein Text und meine Gedanken sicherlich von den Ereignissen gefärbt sind, die uns seit Monaten zeigen: Wir müssen uns daran gewöhnen, dass sich sehr schnell, sehr viel für uns alle verändert hat. Sicher Geglaubtes ging verloren oder hat sich gewandelt, Meinungen haben sich gedreht, Überzeugungen wurden erschüttert.
Seit über 100 Tagen haben wir Krieg in Europa. Die Coronazahlen sind in ihrer Erfassung so gering wie lange nicht mehr, aber die Krankheitsfälle rundherum auf einem für mich neu erlebten Höhepunkt. Die Inflation liegt vorerst bei über acht Prozent. In München füllen die Tafeln keine Berechtigungsscheine, sondern nur noch Wartelisten aus. Mehr als 800.000 geflüchtete Menschen aus der Ukraine sind in der Hoffnung auf Schutz und Unterstützung in unserem Land angekommen.
Wir sprechen von Zeitenwende, neuen politischen Ordnungen, Raketenabwehrsystemen und schweren Waffen. Allerorts ist von Verzicht die Rede. Wir alle müssen verzichten. Die Zeit des übermäßigen Konsums ist vorbei. Für viele Menschen möglicherweise kein bequemer, aber notwendiger Schritt und die Chance, den Wert von Besitz und Konsum neu zu definieren. Für diejenigen, die ohnehin wenig haben, können wir das Wort Verzicht mit Not ersetzen. In diesem Fall ist es also keine persönliche Entscheidung, sondern oft eine existentielle Katastrophe.
All das und vergleichbare Nachrichten können wir jeden Tag in den Medien wiederfinden oder es wird für uns im Fernsehen und den Social Media bebildert. Die Fragen, die sich jetzt dringend stellen, sind: Wie gehen wir damit um? Mit welcher Haltung und Stimmung, mit welchen konkreten Maßnahmen begegnen wir diesem scheinbaren Untergangsszenario?
Gefühlt erschlagen von permanenten Bedrohungsmeldungen fehlen mir dabei immer häufiger die positiven Nachrichten. Die guten Momente. Die erfreulichen, die Hoffnung machen. Geschichten, die bereits sehr effektiv von mutigen und engagierten Menschen geschrieben werden. Geschichten, die unsere Gesellschaft im Kern nach wie vor und weiterhin zusammenhalten, die Mut machen und Hoffnungen in Realität verwandeln. Geschichten, geprägt von Menschlichkeit, Empathie, Mut, Ideen, Kreativität und Gestaltungswillen, die uns wieder festen Boden unter den Füßen verschaffen
Solche Geschichten möchte ich Ihnen hier und auf den folgenden Seiten des Jahresrückblicks von DEIN MÜNCHEN erzählen, mit all den engagierten Teammitgliedern, Unterstützer*innen, Förder*innen und Wegbegleiter*innen, die das Motto #mutaufzukunft nicht nur als eine Floskel begreifen, sondern es schlicht und einfach möglich machen.
Das Jahr 2021 starteten wir im einschüchternden Modus vielfacher Beschränkungen und Auflagen, die das Pandemiegeschehen notwendig machte. Besonders bei Jugendlichen, für die wir uns einsetzen, eine als sichtlich immer schwieriger, teilweise nicht erträglich empfundene Lebens-situation: keine sozialen Kontakte und die digitale Welt ein fragmentarischer Schrotthaufen.
Wie Sie vielleicht bereits aus vergangenen Publikationen wissen, wollten wir immer unserem persönlichen Anspruch gerecht werden und für junge Menschen „da sein“. Ganz klar und kompromisslos: Komme was wolle! Und zu diesem „da sein“, gehört immer auch Positives mitzubringen, Optimismus und eine motivierende, konstruktive Aufbruchstimmung zu verbreiten, Chancen zu eröffnen und vor allem auch zu zeigen: „Es geht etwas.“
Wir sehen junge Menschen wirklich, nehmen sie wahr und ernst. Wir sprechen mit ihnen, statt über sie. Das heißt auch Vorstellungen und Wünsche zu entwickeln, aber die Situation nicht aus den Augen zu verlieren und bereit sein, Dinge anzupassen, weil das gestern Erprobte möglicherweise nicht mehr zu den heutigen Erfordernissen passt. Wir vermitteln das Gefühl, dass wir Probleme gemeinsam schaffen werden und wichtige Grundlagen, um sich mit Lebenslust ausgestattet, psychisch und physisch gesund Situationen zu stellen. Sie ahnen es: Ich spreche von Resilienz.
Diese Gedanken mündeten u. a. in die Konzeption unseres additiv zum laufenden Angebot initiierten Soforthilfeprogramms LET´S GO! NOW, mit dem wir bereits zu Pfingsten 2021 mit zunächst sechs beteiligten Schulen und Notunterkünften starteten und bis zum Jahresende rund 830 jungen Menschen eine Teilnahme ermöglichten. Erfahren Sie mehr über unsere neuen Programmbausteine auf den Seiten 38–43.
Unser großes Bildungsprogramm NO LIMITS! (Seite 44–53) konnte allen Widrigkeiten, wie Lockdowns, mit digitalen und hybriden Angeboten trotzen und wurde, wann immer es nur mög-lich war in Präsenz und mit vielen persönlichen Begegnungen durchgeführt. Im neuen Durchlauf zum Schuljahresstart 2021/22 wurden unsere Teams mit Applaus an den Schulen empfangen. Ernsthaft! Ein Gänsehautmoment.
Unsere Jugendbotschafter*innen (Seite 54–59) reisten von Schule zu Schule. Sie erzählten Schüler*innen von ihren eigenen Erfahrungen und Vorstellungen und warum es Sinn macht, sich für sich selbst und andere einzusetzen. Sie führten Pressegespräche über die Coronapolitik, Schwächen unseres Bildungssystems und mischten ordentlich auf höchster Ebene der Programmgestaltung bei DEIN MÜNCHEN mit. Von den Rezipient*innen zu Protagonist*innen: eine bemerkenswerte Entwicklung. Finden Sie nicht auch?
In unserer DEIN MÜNCHEN-Community befinden sich junge Menschen, die sich teils bereits seit über acht Jahren mit uns verbunden und sich zu DEIN MÜNCHEN zugehörig fühlen, wie der heute 23-jährige Maksimilijan, der sagt: „Ich habe gelernt, an mich zu glauben, und aus dem Leben das Beste zu machen, was ich kann!“ Wie es auch mit schwierigen Startvoraussetzungen gelingen kann zu dieser positiven Lebenshaltung zu finden, lesen Sie auf den Seiten 50–53.
Zurück zu unserer Zeitenwende und den Veränderungen in Meinungen und Betrachtungen von Notwendigkeiten. Was mir Sorge macht, ist ein fairer und gerechter Umgang mit allen, sicher gut gemeinten, gesellschaftlichen Hilfeleistungen. Alle Maßnahmen von DEIN MÜNCHEN folgen der Idee einer solidarischen, chancengerechten Wertegemeinschaft. Nun wurde ich in den vergangenen Monaten oft gefragt, ob wir auch etwas für Geflüchtete tun, vielleicht sogar unseren Fokus insgesamt verändern wollen.
Das momentane reaktive Verhalten der Gesellschaft, immer nur den unmittelbaren Krisenstatus im Fokus zu haben, bestärkt mich umso mehr in meiner Haltung. Ich bin nicht bereit zuzusehen, wie sich die Gräben in unserer Gesellschaft durch neue Präferenzen einer kurzfristigen Aufmerksamkeit weiter vertiefen und verschärfen. Daraus resultieren leider allzu oft Maßnahmen, die als ungerecht oder unpassend empfunden werden. Das ist aber völlig kontraproduktiv für ein friedliches, positives Zusammenleben.
Deshalb treten wir aus voller Überzeugung für alle jungen Menschen in München ein, ganz gleich wie lange sie sich schon in unserer Stadt befinden, woher sie kommen und warum sie unsere Hilfe benötigen. Niemand wird ausgegrenzt, niemand wird abgehängt, niemand wird allein gelassen! Niemand ist mehr wert als andere. Das ist unser Versprechen für alle jungen Menschen, und damit auch für unserer Gemeinschaft.
Wir verstehen uns als entwicklungsfähige Organisation, die die grundlegenden Werte, die sie vermitteln möchte, auch (vor)lebt. Gleichbehandlung vermittelt Sicherheit und fördert den Zusammenhalt, und bleibt deshalb unser zentrales Argument für alle künftigen Herausforderungen.
Lassen Sie uns zusammenstehen und helfen Sie uns mit Ihrer finanziellen Unterstützung, so dass wir uns auch weiterhin für unsere Zielgruppe und damit für uns alle als Gesellschaft stark machen können.
Ihre Mara Bertling
Gründerin & geschäftsführende Gesellschafterin
DEIN MÜNCHEN
Werden Sie Zukunftsgestalter*in und helfen Sie mit Ihrer Spende, Kindern und Jugendlichen ein besseres Leben mit Chancen und Perspektiven zu ermöglichen: https://dein-muenchen.org/spen...
Dieser Text ist das Vorwort des DEIN MÜNCHEN-Jahresberichts 2021, der im Juli 2022 veröffentlicht wurde. Den kompletten Jahresbericht finden Sie unter: https://www.yumpu.com/de/docum...